von der Theorie zur Praxis
Alle reden von Sicherheitskultur und deren Bedeutung im System Eisenbahn. Aber wie kommen wir vom Reden ins Machen?
Menschliche und organisatorische Faktoren spielen eine wichtige Rolle, nicht nur in sicherheitsrelevanten Berufen. Aber was genau bedeutet es, wenn die europäische Richtlinie (2016/798) eine Sicherheitskultur fordert? Was würde sich ändern, wenn sich im Eisenbahnsystem wirklich eine Kultur etabliert, die auf Sicherheit basiert und dabei den Menschen in seinen Facetten berücksichtigt?
Welche Chancen können daraus entstehen? Wenn wir fachliches, technisches und psychologisches, pädagogisches Wissen miteinander verknüpfen, entsteht daraus Know How, das auch für andere Systeme interessant ist und vor allem neue Qualitätsstandards ermöglicht. Wie aber gelingt dieser Prozess? Wie baut sich ein Konzept auf, das successive eine Sicherheitskultur etabliert? Wie haben da sehr konkrete Vorstellungen:
Was bedeutet eigentlich Sicherheitskultur?
Sicherheitskultur beinhaltet das gemeinsame Vertreten von Werten, Überzeugungen und Verhaltensweisen innerhalb einer Organisation in Bezug auf Sicherheitskriterien. Es handelt sich dabei um einen ganzheitlichen Ansatz, der darauf abzielt, Sicherheit als einen integralen Bestandteil der Unternehmenskultur zu etablieren.
Eine Sicherheitskultur zeichnet sich insbesondere durch ein gemeinsames Bewusstsein und einem Engagement für die Sicherheit aus. Sie beinhaltet die
– Anerkennung der Bedeutung von Sicherheit
– Förderung proaktiver Sicherheitsmaßnahmen
– Beteiligung aller Mitarbeiter an Sicherheitsinitiativen
und die
– offene Kommunikation über Sicherheitsrisiken und -probleme.
In einer solchen Kultur fühlen sich Mitarbeiter verANTWORTlich für die Sicherheit und sind bereit, Sicherheitsrichtlinien einzuhalten bzw. Risiken zu benennen.
Warum ist Sicherheitskultur so wichtig im System Eisenbahn?
Eine gute Sicherheitskultur im System Eisenbahn ist entscheidend, um Unfälle, Verletzungen und Schäden zu vermeiden. Sie schafft ein Umfeld, in dem Sicherheit Priorität hat und kontinuierlich verbessert wird.
Eisenbahnen sind komplexe Systeme mit vielen beteiligten Elementen wie Zügen, Gleisen, Signalen, Kommunikationssystemen, Fahrzeugen, Infrastrukturen und natürlich den Menschen, die für den sicheren Betrieb verantwortlich sind.
Eine gute Sicherheitskultur im Eisenbahnsystem ist wichtig aus folgenden Gründen:
Schutz von Menschenleben: Die Sicherheit der Fahrgäste, des Zugpersonals und des Bahnpersonals hat oberste Priorität. Eine positive Sicherheitskultur stellt sicher, dass alle Beteiligten die Bedeutung der Sicherheit verstehen, entsprechend handeln und die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, um Unfälle und Verletzungen zu verhindern.
Vermeidung von Unfällen und Störungen: Eine starke Sicherheitskultur zielt darauf ab, Unfälle, Zugausfälle und Störungen im Betrieb zu minimieren. Dies kann durch proaktive Risikobewertung, präventive Wartung, Einhaltung von Sicherheitsstandards und -verfahren sowie Schulungen und Weiterbildungen für das Personal erreicht werden.
Schutz der Infrastruktur: Eine gute Sicherheitskultur stellt sicher, dass die Eisenbahninfrastruktur ordnungsgemäß gewartet und instand gehalten wird. Dieses umfasst beispielsweise Gleise, Brücken, Signalanlagen, Bahnsteige und andere Einrichtungen. Durch regelmäßige Inspektion, Wartung und Instandsetzung können potenzielle Gefahren identifiziert und behoben werden, bevor es zu schwerwiegenden Schäden oder Unfällen kommt.
Vertrauen der Öffentlichkeit: Eine starke Sicherheitskultur trägt zum Vertrauen der Öffentlichkeit in das Eisenbahnsystem bei. Wenn Fahrgäste, Anwohner und Stakeholder das Vertrauen haben, dass Sicherheit gefördert und umsetzbare Maßnahmen entwickelt werden, wir die Bereitschaft wachsen, den Zugverkehr zu nutzen und das System zu fördern.
Einhaltung von Vorschriften und Standards: Das Eisenbahnsystem unterliegt einer Vielzahl von Vorschriften und Sicherheitsstandards, die eingehalten werden müssen. Eine positive Sicherheitskultur fördert die Einhaltung dieser Vorschriften und Standards, um die rechtliche und sicherheitstechnische Integrität des Systems zu gewährleisten.
Entgegenwirken des Personalmangels: Um Sicherheitskultur zu leben, braucht es genau die Menschen, die in der Lage sind, die gemeinsamen Werte und Einstellungen umzusetzen. Durch eine ausgeprägte Kultur werden ebendiese Menschen gezielt angesprochen und langfristig z.B. dem Lokführermangel entgegengewirkt.
Fazit: Sicherheitskultur dazu bei, das Risikobewusstsein zu erhöhen, das Verhalten der Menschen zu beeinflussen und sicherheitsrelevante Entscheidungen zu fördern. Indem dieses Bewusstsein zur Norm wird, wird die Leistung verbessert, die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigt und die Identifikation mit dem Unternehmen gewinnt an Bedeutung.
Wie kann sich Sicherheitskultur entwickeln?
Wie kann es gelingen, in dieses so komplexe und technisch ausgerichtete System Eisenbahn in eine Kultur zu integrieren, die uns als Menschen in all seinen Besonderheiten und Facetten berücksichtigt?
„Der Mensch lässt sich nicht in Regelwerke schreiben. Wir können aber eine Kultur gestalten, die Förderliches stärkt und Gefährdendes bremst.“
Menschliche Faktoren zu berücksichtigen bedeutet, sich immer wieder neu auf den eigentlichen Fokus (Sicherheit) zu konzentrieren und individuelle bzw. allgemeingültige Wege zu finden, sich darauf auszurichten und Fehler als Bestandteile des Lernprozesses zu betrachten. Wird diese Chance nicht genutzt, werden Fehler vielmehr als Versagen oder Nachlässigkeit gewertet. Mitarbeiter haben dadurch möglicherweise Angst vor negativen Konsequenzen wie Disziplinarmaßnahmen, Kündigungen oder Rufschädigung, wenn sie Fehler zugeben. Dadurch kann eine Atmosphäre des Schweigens entstehen, in der einerseits Fehler vertuscht werden und andererseits Verbesserungschancen vertan werden.
Wird andererseits der Fehler als gemeinsame Chance betrachtet, neue Prozesse zu etablieren, wächst die Bereitschaft der Beteiligung.
Diese Fokussierung ist ein Prozess, der nicht hierarchisch strukturiert sein darf, sondern zentral ausgerichtet werden muss:
„Menschliche Faktoren“ betreffen alle Mitarbeitenden. Neben dem Erwerb von Grundlagenwissen und der Vermittlung von Handlungsstrategien, geht es insbesondere darum, zielgruppenübergreifende Sicherheitsprozesse zu planen und umzusetzen.
Es ergeben sich Grundschulungen und themenspezifische Aufbauschulungen für folgende Zielgruppen:
– operative Mitarbeiter (z.B. Triebfahrzeugführer, Fahrdienstleiter, Zugbegleiter, Instandhalter, Bereitstellen, Disponenten)
– Führungskräfte/Regelwerksautoren (z.B. Geschäftsleiter, Bereichs-/Fachbereichs-/Abteilungsleiter, technische Führungskräfte, Fachautoren)
– MOF Experten (z.B. Fachpersonal, Trainer)
In diesem Prozess geht es stetig darum, unterstützende Prozesse zu fördern und gefährdende Prozesse zu verringern bzw. zu stoppen.
Die Interessen aller Beteiligten werden im zielgruppenübergreifenden Gremium berücksichtigt.
Beispiel: Operative Mitarbeiter haben andere Anforderungen in puncto Sicherheit als Fachautoren. Ist der Fokus beim Triebfahrzeugführer beispielsweise darauf zu richten, in besondereren Situationen eine gute Reaktionsfähigkeit unter Beweis zu stellen, wird der Fachautor eher das Augenmerk auf die Verständlichkeit und Umsetzbarkeit der Regelwerke legen.
Fazit: Warum die Berücksichtigung menschlicher Faktoren gerade für das System Eisenbahn eine so große Chance darstellt:
Die größte Herausforderung liegt darin, einem vor allem in Regelwerken aufgebauten und strukturierten System die menschlichen Facetten zu integrieren. Das ist ein Prozess. Wenn jeder gefordert ist, in der Lage ist bzw. die Wege nutzt, in seinem Bereich die besten und gesündesten Entscheidungen zu treffen, wächst nicht nur die persönliche Weiterentwicklung einzelner Mitarbeiter, sondern wird das gesamte Unternehmen gestärkt.
Menschliche Faktoren gibt es, ob wir sie berücksichtigen oder nicht. Die aber gezielt für die Sache – für Sicherheit – einzusetzen, darin liegt eine große Chance.
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